Bernhard Peter
Galerie: Photos schöner alter Wappen Nr. 2344
Erfurt (Landeshauptstadt)

Patrizierhaus "Zum Vierherren"

Das breitgelagerte Patrizierhaus in der Regierungsstraße 63-64 wird als Hof "Zum Vierherren" oder Hof "Zum Obervierherrn" bezeichnet. Die rechts gelegene Nr. 64, das Haus "Zum bunten Schiff", bildete historisch immer wieder eine Besitzeinheit mit der links gelegenen Nr. 63, dem Haus "Zum gelben halben Mond". Mittlerweile sind beide baulich verschmolzen, so daß der Hof mit einem unregelmäßig trapezförmigen Grundriß insgesamt auch als "Zum bunten Schiff und halben Mond" bezeichnet wird. Ganz rechts befindet sich die Durchfahrt zum Hof. Ursprünglich handelt es sich bei dem dreigeschossigen Anwesen um einen Hof der Grafen von Schwarzburg.

1450 gingen beide Höfe in den Besitz der Patrizierfamilie Kellner über, aber 1472 wurden sie beim Stadtbrand fast vollständig vernichtet. 1472-1484 wurde das Anwesen Nr. 64 in gotischem Stil wiedererrichtet. Bis 1472 entstand das Vorderhaus, bis 1476 das Hinterhaus, an dem sich das steinerne, hervorragend gearbeitete und fast vollplastische Wappen der Patrizierfamilie Kellner aus dem Jahr 1476 an der Südfassade erhalten hat (ohne Abb., in Schwarz eine silberne, schwarzgefugte Zinnenmauer, belegt mit einer roten, silbern bebutzten und grün bespitzten Rose, oben begleitet von drei silbernen, balkenweise gestellten Lilien, auf dem Helm mit schwarz-silbernen Decken zwei schwarze, gestümmelte Äste). Ein zweites Familienwappen ist auf einem Schlußstein in einem kreuzrippengewölbten Raum zu sehen, der ca. 1472 entstanden ist. Bis 1484 wurde das Vorderhaus aufgestockt. Heinrich Kellner, Eigentümer des Hofes "Zum Schiff", war Obervierherr, d. h. der oberste von vier Ratsherren, die den Vorstand des Rates der Stadt Erfurt bildeten. Er nahm aber ein übles Ende, denn er wurde 1509 für 10 Monate im Ratsgefängnis inhaftiert und 1510 unschuldig hingerichtet. Im Grunde mußte er für angehäufte Schulden von 500000 fl. büßen, und seine Amtszeit war eben wirtschaftlich nicht die erfolgreichste. Heinrichs Bruder Balthasar, Eigentümer des "Gelben halben Mondes", verließ bald nach der Hinrichtung seines Bruders Erfurt und ging nach Frankfurt am Main, wo er 1512 starb.

1587 wurde der Hof "Zum Schiff" an die Familie Nacke verkauft, eine der reichsten Erfurter Familien, die das Vorderhaus im Stile der Renaissance umgestalteten. Im Eingangsportal ist die Jahreszahl 1592 angebracht. Die im Bild sichtbare Vorderfront der Nr. 64 stammt aus dem 15. Jh., die der daneben stehenden Nr. 63 (nicht mehr im Bild) aus dem 16. Jh. Der aus mehreren Gebäuden bestehende rückwärtige Teil vereinigt Bausubstanz aus dem 13. bis zum 20. Jh.

Über dem Haupteingang in der Regierungsstraße 64, einem Sitznischen-Rundbogenportal mit muschelbekrönten Nischen über profilierten Sitzkonsolen, befindet sich das Familienwappen Nacke, dieses ist geteilt, oben in Schwarz ein aus der Teilung wachsendes, nacktes, männliches Bild mit vor der Brust zusammengelegten Armen und mit silberner Kopfbinde mit zu beiden Seiten abflatternden Enden, unten von Schwarz und Gold fünfmal schräg geteilt, auf dem Helm mit schwarz-goldenen Decken der nackte Mann wie beschrieben wachsend. Das redende (Nacke -> Nackedei) Wappen wird im Siebmacher Band: Bg2 Seite: 54 Tafel: 91 etwas abweichend beschrieben, im Text fehlt der Hinweis auf die fünffache Schrägteilung, die Richtung wird als schräglinks angegeben, und es wird Silber statt Gold genannt. Im Rietstap/Rolland wird es hingegen wie hier mit der Farbe Gold und mehrfacher, allerdings sechsfacher Schrägteilung angegeben, die Helmdecken aber wiederum schwarz-silbern (coupé, au 1 de sable à un homme issant de carnation tortillé d'or mouvant du coupé, au 2 d'or à trois bandes de sable. Cimier l'homme issant. Lambrequin d'argent et de sable). Herbord Nacke jun., Erfurter Ratsherr und Amtmann in Schloßvippach, hatte das Anwesen käuflich erworben. Bis 1656 blieb der Hof in der Familie.

1656 wurde der Patrizierhof erneut verkauft. Bis 1670 waren die Grafen von Schwarzburg und Hohnstein erneut Besitzer. Dann folgten als Besitzer 1670-1774 u. a. die kurfürstlich-mainzische Beamtenfamilie Molitoris (Wappen: rot-silbern geteilt mit einem Mühlrad in verwechselten Farben), bis 1798 der Weinhändler Alexander Burghardt den Hof übernahm. Bis 1902 verblieb der Hof in dieser Familie, die als bauliche Veränderung 1882 die Hofzufahrt vergrößern ließ und ein schmiedeeisernes Gitter des Kunstschmiedes Wilhelm Knopp anbringen ließ und die eine repräsentative Diele im Stil der Neorenaissance einbauen ließ. Dabei entstand auch der Stuckdekor der Fassade mit Fenstereinfassungen und -bekrönungen aus Beschlagwerk und mit Maskenschmuck. Auch wenn das Schmuckband um das Portal die Jahreszahl 1592 trägt - auch dieses Schmuckband entstand erst in dieser Zeit als Zutat zum vorhandenen Portal.

Der nächste Besitzer war 1902-1932 Max Appel, Kaufmann und Weinhändler, der hier einen Großhandel mit Ausschank betrieb. 1947 wurde der Hof verstaatlicht. Die Straßenbaudirektion nutzte das Gebäude bis 1992. Zeitweise wurde in den 1950er- bis 1970er-Jahren hier eine Gaststätte "Zum Vierherrn" betrieben, bis 1993-2010 Leerstand unter etlichen Besitzern den Hof herunterkommen ließ. Erst 2007 hatte sich eine alteingesessene Erfurter Familie mit dem Kauf des Ensembles übernommen. Aufwärts ging es erst wieder, nachdem der gesamte Hof (63 und 64) von Jutta Heidemann 2010 erworben wurde, eine Investorin aus dem Westfälischen, die mit Vorliebe alte Häuser in Erfurt saniert und den Hof restaurieren ließ und in Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro Michael & Silvia Gretz wiederbelebte. Das ganze Anwesen (Nr. 63 und Nr. 64) wurde 2010-2012 gründlich und mustergültig saniert; die Gebäude rings um den nun vereinigten und vergrößerten Innenhof wurden unter Beibehaltung aller historischen Elemente modern zu Wohnungen ausgebaut, wobei 2000 m2 für Wohnungen und 400 m2 für Büros entstanden.

Literatur, Links und Quellen:
Bernhard Hartung: Die Häuserchronik der Stadt Erfurt, 1861 ff.
Gedenktafel vom Planungsbüro Michael & Silvia Gretz am Haus
Patrizierhaus "Zum Vierherrn":
http://www.erfurt-web.de/Regierungsstraße_63-64
Sanierung:
http://www.thueringer-allgemeine.de/web/zgt/wirtschaft/detail/-/specific/Aus-alt-mach-neu-So-wandeln-sich-Erfurter-Immobilien-714973589
Ulrich Seidel: Erfurt, Rundgänge durch die Geschichte, Sutton Verlag, Erfurt 2004, 144 S., ISBN-10: 3897027607, ISBN-13: 978-3897027602
Christian Misch: Neue bauhistorische Erkenntnisse zu Erfurter Profanbauten, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, hrsg. vom Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, Heft 75, Neue Folge Heft 22, 2014, S. 188-225,
https://books.google.de/books?id=wCY6AwAAQBAJ

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